Samstag, 15. Dezember 2012

Der „Wunderbare Hafen“



Die umfassendsten Renovierungsarbeiten und Neukonstruktionen geschehen in Rio de Janeiro im historischen Stadtzentrum. Dort werden keine Sportwettbewerbe der olympischen Spiele stattfinden. Man kann hier eher das Spiel zwischen kultureller Aufwertung und anschließender Immobilienspekulation beobachten. Als ich im Jahr 2000 zum ersten Mal nach Rio kam, fristete das Zentrum ein Mauerblümchendasein. Die Lapa war als Nightlife-Viertel noch nicht entdeckt, Santa Teresa komplett entwertet und der alte Hafen eine No-Go-Area. 
Das hat sich in den darauffolgenden 10 Jahren radikal geändert. Zunächst haben hier alternative Künstler, Undergrounddiscos oder einfach Abenteuerlustige eine Bleibe gefunden. In Santa Teresa wurde der Tag des offenen Ateliers als erster Kulturevent eingeführt. Auch die verlassenen Fabrikhallen in der Hafenregion wurden zu Kulturzentren und billigen Ateliers umfunktioniert. Der Conceição-Hügel hat sein kulturelles Erbe als Geburtsstätte des Sambas wieder entdeckt. Heute treffen sich jede Nacht unzählige Menschen am „Salzstein“ (Pedra do Sal), wo angeblich der Samba erfunden wurde. Ganz zu schweigen von der Lapa, wo sich inzwischen schicke Bars aneinanderreihen.

Der „Pedra do Sal“


Noch bis vor kurzem gab es keinerlei Investitionen in das kulturelle Erbe des Stadtzentrums. Aber seit der Olympiavergabe wird ein historisches Gebäude nach dem anderen renoviert: das städtische Theater, die Kathedrale, die Fiskalinsel, der Tiradentes-Platz. Man merkt auch, dass jetzt stärker auf Dokumentation und Information geachtet wird. An mehreren Standorten werden Informationsschilder aufgestellt und Touristenführer werden professionell ausgebildet. Früher gab es einfach keine Führungen rund um das ehemalige Regierungsviertel und die Prachtbauten der Bibliothek und des Museums der Schönen Künste.

Die renovierte Kathedrale


Die Konsequenz ist, dass nicht nur hier im Zentrum, sondern in ganz Rio die Immobilienpreise immens ansteigen. Gerade so ein entwertetes Viertel wie der Hafen – zwischen Conceição-Hügel und den verlassenen Fabrikhallen -  lohnt sich besonders für Spekulation, denn es verspricht die höchsten Gewinne. So wurde unter dem Namen „Porto Maravilha“ (Wunderbarer Hafen) beschlossen diese Region wiederzubeleben.
Erneut legt man Wert auf die kulturelle Komponente, indem das „Museum für Kunst Rio“ und das „Museum des Morgens“ (was auch immer das sein soll) gebaut werden. Das hässliche Viadukt der Stadtautobahn soll abgerissen und stattdessen ein Tunnel gebaut werden. Die alten Lagerhallen wurden schon renoviert und hier finden jetzt jährlich die Modewoche und die Kunstmesse statt. Die ehemaligen Fabriken sollen abgerissen werden, um neue Wohn- und Büroflächen zu errichten.

Das Museum der Kunst Rio


Das ganze „Porto Maravilha“-Gebiet erhält eine Straßenbahn, die es mit dem Stadtflughafen, den Bahnhöfen, der Metro und wahrscheinlich sogar dem Maracanã verbindet. Da ist klar, dass hier die Preise in die Höhe schnellen.
Bei den Bauarbeiten wurden mehrere archäologische Entdeckungen gemacht, wie zum Beispiel die ehemaligen Hafenanlagen der Kolonialzeit. Der „Pedra do Sal“ war der Ankunftspunkt der verschleppten Sklaven aus Afrika. Viele von ihnen ließen sich in dieser Region nieder. Deshalb wurde dort der Samba entwickelt. Die Fundstücke werden scheinbar professionell gesichert und dokumentiert. Man kann inzwischen gut renovierte historische Städten besuchen und sich informieren.

Die koloniale Hafenanlage


Die Bauarbeiten nehmen ein Ausmaß, wie damals am Potsdamer Platz in Berlin an. Und so wurde auch die Idee eines Besucherzentrums kopiert. In einem blau angestrichenen Würfel können sich Besucher über die Baupläne informieren. Die Einwohner Rio de Janeiros entdecken gerade Teile und Geschichten ihrer Stadt, die ihnen bisher komplett unbekannt waren.


Ein Film im Besucherzentrum, der den Urbanisierungsplan vorstellt.

Gleichzeitig setzt aber auch der Prozess der Gentrifizierung ein. Das heißt, dass der Stadtteil zwar aufgewertet wird, aber die statusniedrigeren Anwohner können sich die wachsenden Preise nicht mehr leisten und werden vertrieben. In einigen der hier befindlichen Favelas geschieht das durch Zwangsenteignung. Es wird die sogenannte Friedenspolizei installiert, deren Aufmarsch aber sehr kriegerisch wirkt.

Die „Friedenspolizei“


Sicherlich sind die neuen Seilbahnen in die Favelas absolut notwendig für die Anwohner. Pech hat aber nur derjenige, der sein Haus ausgerechnet an dem Ort hat, an dem ein Pfeiler für den Lift errichtet werden soll. Die Ingenieure der Stadtverwaltung legen den Weg der Seilbahnen fest, ohne die Bevölkerung zu befragen. Die Vertriebenen bekommen zwar eine Abfindung, beklagen sich aber meist darüber, dass der Wert zu gering sei. Ihr Schicksal ist meist, dass sie in einen zwei oder drei Stunden entfernten Vorort ausweichen müssen.
So faszinierend die Veränderungen und die Bauarbeiten sind, so problematisch sind ihre Auswirkungen auf die ärmere Bevölkerung. Diese Seite der Olympiavorbereitungen versucht das Organisationskomitee gern zu verstecken. Hier ein Video von Aktivisten (mit englischen Untertiteln):


Der interessanteste Teil des Videos beginnt bei etwa drei Minuten, wenn der Vertreter der Stadtverwaltung die Informationsweitergabe der Aktivisten verhindern will. 

Keine Kommentare: