Mittwoch, 16. Januar 2013

Willkommen zur Saison 2013!


Der Urlaub ist vorbei und ab Samstag wird wieder gegen den Ball getreten. Zeit auch für mich schon mal den Motor warm laufen zu lassen und mich auf die kommende Saison vorzubereiten. Der brasilianische Fußballkalender mutet für deutsche Fußballfans etwas seltsam an, denn er ist in zwei Semester geteilt. Vom 19.01. bis zum 19.05. werden die regionalen Staatsmeisterschaften stattfinden. In dieses erste Semester fallen auch der brasilianische Pokal und der kontinentale Copa Libertadores. Am 25.05. beginnt dann die brasilianische Meisterschaft, die im Dezember endet. Im zweiten Semester wird auch der Copa Sulamericana, das Pendant zu Europa League, ausgetragen.  
Am Samstag beginnen also die regionalen Staatsmeisterschaft, dass heisst in Rio, die Riomeisterschaft. Diese Wettbewerbe sind sehr kurios denn in ihnen müssen die großen etablierten Teams, wie Flamengo und Fluminense, gegen Dorfklubs antreten. Trotzdem haben diese Turniere ein hohes Ansehen in Brasilien. Jeder Bundesstaat hat seine eigene Meisterschaft und seinen eigenen Austragungsmodus, der oftmals – sagen wir – kreativ ist.
In Rio wurden zwei Gruppen mit je acht Teams gebildet. In einer ersten Phase spielen alle Mannschaften innerhalb einer Gruppe nur in einer Hinrunde gegeneinander. Die beiden Bestplatzierten der Gruppen tragen dann ein Halbfinale und schließlich ein Finale aus. Somit wird der Meister der ersten Phase ermittelt, der den Guanabara-Pokal erhält.
In der zweiten Phase spielt jedes Team der Gruppe A einmal gegen jedes Team der Gruppe B und jedes Team der Gruppe B gegen jedes der Gruppe A. Erneut gibt es nur eine Hinrunde. Die zwei Bestplazierten der beiden Gruppen ermitteln dann wieder in Halbfinale und Finale den Meister der zweiten Phase, der den Rio-Pokal erhält. Sollten die Sieger der ersten und der zweiten Phase zwei verschiedene Klubs sein, dann wird es am 12. und 19. Mai zum großen Finale um die Riomeisterschaft in Hin- und Rückspiel kommen.
Der Grund für diesen komplizierten Spielmodus ist, dass man versucht so viele große Derbies zwischen Flamengo, Fluminense, Vasco und Botafogo zu schaffen wie nur möglich. Man geht davon aus, dass diese vier Mannschaften immer auf den ersten Plätzen ihrer Gruppen abschließen und so kommt man im Idealfall auf 14 Derbys in vier Monaten!
Derbys haben sicherlich auch in Deutschland einen hohen Stellenwert und so ist dieses Bestreben nach einer Multiplizierung der Stadtklassiker auch für den deutschen Fußballfan nicht ganz unverständlich. Ich denke aber, dass an dieser Stelle der brasilianische Schriftsteller und Dramaturg Nelson Rodrigues (1912 - 1980) vorgestellt werden muss. Seine Themen sind Sex, Untreue und Fußball, damit ist er so eine Art brasilianischer Charles Bukowski. Nelson liebte als Schauplatz für seine Geschichten die Vororte in Rios Norden, in denen „noch aus Liebe Selbstmord begangen wird“. Genau in diesen Vororten liegen die Stadien Maracanã und Engenhão, aber auch viele kleine Vereine, wie Olaria, Bangu und Madureira.
Nelson verstand den Fußball immer als ein shakespeareanisches Drama. Als solches hat es verschiedene typische Figuren, die entweder durch die Klubs oder durch einzelne Spieler dargestellt werden. Mich hat das inspiriert, frei nach Nelson Rodrigues, die vier großen Klubs vorzustellen. Jedes gute Drama braucht einen Bösewicht und das ist in Rio der Verein Flamengo, der von allen drei anderen gehasst wird. Er verkörpert den Verrat, erkaufte Spiele, ungerechte Schiedsrichterentscheidungen und arrogantes Verhalten. In jeder Riomeisterschaft gilt es aufs Neue Flamengo niederzuringen.
Das wichtigste Stadtderby ist heutzutage das Spiel zwischen Vasco und Flamengo. Vasco wurde zu dem großen Rivalen Flamengos und verkörpert somit in unserem Drama den Helden und das uneingeschränkte Gute. Vasco konstruierte sein Image des Guten damit, dass er sich als den antirassistischen Klub ausgibt, da er der erste Verein war, der Spieler aus der Unterschicht zuließ. In der Sichtweise der Vasco-Fans wäre eine ethnisch gemischte Nationalmannschaft ohne ihren Klub nicht möglich. Man gibt sich also das Image eines volksnahen Verein, der von den etablierten benachteiligt wird.
Fluminense hingegen wird allgemein als der Verein der Oberschicht beschrieben und übernimmt so die Position der grauen Eminenz, ein weiser Mann, der über Gut und Böse schwebt. Im Vergleich zu Fluminense (der älteste Klub in Rio) sind alle anderen Vereine nur Kinder, die immer wieder einen väterlichen Rat brauchen. Fluminense ist eventuell bei Shakespeare vergleichbar mit dem Geist von Hamlets Vater.  
 Schließlich braucht jedes gute Drama noch eine Prise Humor und dafür ist der Hofnarr zuständig. Botafogo übernimmt diese Aufgabe. Der Verein ist berühmt dafür völlig irrationale Entscheidungen, aufgrund von abergläubischen Gesichtspunkten, zu fällen. In seinen Reihen waren mit Garrincha und Heleno de Freitas einige der außergewöhnlichsten Spieler der Fußballgeschichte, die die Fans immer zum Lachen brachten.
Ich würde sagen, dass Nelson Rodrigues wohl etwas unparteiischer war, aber im Großen und Ganzen mit meiner Charakterisierung übereinstimmen würde. Klar ist, dass Fans von Flamengo die Rollen von Bösewicht und Held vertauschen würden. Wir können uns also auf bis zu 14 Derbys freuen, in denen diese Figuren aufeinandertreffen und immer wieder aufs Neue ihre Kräfte messen.
Darüber hinaus gibt es aber auch die vielen kleinen Dorf- und Vorortklubs, die die Vorherrschaft der vier Großen herausfordern. Oftmals gelingt es ihnen sogar und es hat einfach eine poetische Schönheit, wenn man Flamengo in Bangu verlieren sieht. Immer wieder gelingt es einer Dorfmannschaften, sich vor einen der großen Klubs zu drängen, was sicherlich den Charme der Riomeisterschaft ausmacht. Ich werde deshalb ein besonderes Augenmerk auf die kleinen Klubs richten und ihre Spiele besuchen.

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