Dienstag, 16. April 2013

José Maria Marin, Brasilien und die Diktatur



In den letzten Wochen erschienen in brasilianischen Zeitungen mehrfach Berichte über die Rolle des aktuellen Präsidenten des Fußballverbandes CBF José Maria Marin während der Militärdiktatur. Ich halte das Thema Diktatur für sehr sensibel und sperrig in einem Blog über Fußball. Aber das Ausmaß der Anschuldigungen und die Diskussionen, die sie erzeugten, führen dazu, dass ich beschlossen habe über das Thema zu schreiben.
Mir erscheint es oft so, dass das Thema Militärdiktatur (1964 – 1985) in der brasilianischen Öffentlichkeit totgeschwiegen wird. Während Nachbarländer, wie Argentinien, Uruguay oder Chile, begonnen haben nach Verantwortlichen zu suchen und ihre Diktatoren vor Gericht zu bringen, gilt in Brasilien ein Amnestiegesetzt, dass es verbietet sowohl Mitglieder der Militärregierung, als auch Mitglieder von paramilitärischen Oppositionsgruppen, anzuklagen. Ich habe oft den Eindruck, dass das dazu führt, dass oberflächlich der öffentliche Frieden hergestellt ist, aber unter der Oberfläche brodelt es gewaltig, denn die Wunden schmerzen noch.
 Mit Fernando Henrique Cardoso, Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff stammen die drei letzten Präsidenten aus der Oppositionsbewegung der Diktaturzeit, wobei sie ganz verschiedene Schicksale und Rollen ausfüllten. Die aktuelle Präsidentin war 1969 – 70 in der Guerilla-Gruppe VAR-Palmares aktiv und wurde 1970 festgenommen. Sie selbst schweigt öffentlich über das was mit ihr im Gefängnis geschehen ist, aber andere Zelleninsassen sagten aus, dass sie brutal gefoltert wurde, unter anderem mit Elektroschocks an den Genitalien.

                                                http://pt.wikipedia.org/wiki/Dilma_Rousseff

Am Tag ihrer Vereidigung als Präsidentin lud sie demonstrativ ehemalige Zellenkolleginnen zum Tee ein. Dilma redet nicht über die Diktatur, aber still und leise handelt sie konkret. Die bekannteste Maßnahme ist die „Kommission der Wahrheit“, die die Zeit der Diktatur dokumentieren und aufarbeiten soll. Sie nötigte Vertreter der Militärdiktatur zu öffentlichen Protesten, in denen das Amnestiegesetzt verteidigt wurde. In einem sehr schockierenden Interview bei TV Globo bezweifelte ein ehemaliger General sogar öffentlich, dass Dilma tatsächlich gefoltert wurde.

                                                       Dilmas Gefängnisfoto.
                                                                         http://pt.wikipedia.org/wiki/Dilma_Rousseff

In diesem Kontext muss man die Vorkommnisse um José Maria Marin beobachten. Als er 2012 zum Nachfolger von Ricardo Teixeira an der CBF-Spitze ernannt wurde, kannte ihn niemand. Marin hat es geschafft in den letzten 30 Jahren immer ganz nah am Zentrum der Macht des Fußballverbandes zu sein, aber nie öffentlich aufzufallen. Aber Dilma erinnerte sich an ihn aus der Zeit der Militärdiktatur und hat ihn noch nie offiziell empfangen.
Teile der brasilianischen Presse versuchen nun Marins Vergangenheit in Erfahrung zu bringen. Marin war für die Einheitspartei der Diktatur ARENA Stadtrat (1964 – 70), Abgeordneter (1971 – 79) und (Vize-) Gouverneur (1979 – 83) von São Paulo. Damit war er immer nah am Machtzentrum und somit an den Entscheidungsfindungen. Die Zeitung „Folha de São Paulo“ berichtet nun, dass sie Zugang zu den Archiven den Militärdiktatur gehabt habe und diese ausgewertet hat. Der Geheimdienst hat nämlich nicht nur seine Gegner, sondern auch Parteimitglieder überwacht, um sie auf Linientreue zu prüfen. Marin bestand diesen Test mit Bravour.
Natürlich kann man keine Dokumente finden, in denen Marin tatsächlich eine Hinrichtung befohlen hätte oder gar Anzeichen auf eine direkte persönliche Beteiligung bei einem Mord. Schon damals gelang es ihm nah an der Macht, aber unverdächtig und dezent in der zweiten Reihe zu stehen.

                                      Marin (Vizegouverneur) rechts.

Die klarsten Beweise für seine Verstrickungen in die Diktatur und ihre Menschenrechtsverletzungen existieren im Zusammenhang mit dem Fall „Vladimir Herzog“. Herzog war bis 1975 Direktor für Journalismus bei TV Cultura in São Paulo. Marin beklagte damals in einer Brandrede im Landtag von São Paulo, dass TV Cultura nicht über Ereignisse der Partei ARENA berichten würde und dass dies die öffentliche Ordnung bedrohen würde. Damit liegt nahe, dass er die darauf folgenden Repressionsmaßnahmen gegen TV Cultura zumindest unterstütze, wenn nicht sogar initiierte.

                                             http://pt.wikipedia.org/wiki/Vladimir_Herzog

Eine der Maßnahmen war die Festnahme des Direktors für Journalismus Vladimir Herzog, Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei, und seine Folterung bis zum Tod in den Gebäuden des Geheimdienstes DOI-CODI. Die Geheimpolizei gab damals an, Herzog hätte Selbstmord begangen. Das Foto des angeblich Erhängten rief aber erhebliche Zweifel hervor, da seine Füße den Boden berührten.


Herzog wurde zu einem Symbol der Redemokratisierungsbewegung, besonders weil er eben nicht Teil der Guerilla, sondern ein Vertreter der Presse war. Die Frage ist nun, wie man mit diesen Informationen umgeht, denn es kann keine direkte Verbindung zwischen Marin und dem Tod von Herzog nachgewiesen werden.
Der Bundestagabgeordnete Romario hat gemeinsam mit Herzogs Sohn Ivo insgesamt 50.000 Unterschriften gesammelt, die den Rücktritt Marins sowohl als Präsident des CBF und besonders als Chef des OK der WM fordern. Die Problematik wurde auch an die FIFA in der Schweiz weitergeleitet - bisher ohne Antwort. Der Pressesprecher der FIFA in Brasilien antwortete, dass sich die FIFA nicht in innerbrasilianische Angelegenheiten einmischen kann und die Zusammenarbeit im Bezug auf die WM-Organisation gut verläuft.


Für mich wurde klar, dass die Mitglieder der Militärdiktatur weiterhin in vielen wichtigen Positionen vertreten sind und so eine aktive Aufarbeitung der Geschehnisse verhindern können. Vielen Brasilianern wäre es lieber, wenn man die Diktaturzeit vergessen könnte. Aber unter der Oberfläche brodelt es und das führt immer wieder zu Eruptionen, wie der von mir beschriebenen.

Keine Kommentare: