Montag, 10. März 2014

Cruzeiro – Tupi, 2:1


Es regnet – Endlich! In Rio war dieser Sommer einfach unerträglich heiß und trocken. Es hat fast zwei Monate nicht geregnet. Ich habe das Wochenende in Belo Horizonte verbracht und fand dort angenehme 20° vor. Somit konnte ich ein Spiel des Campeonato Mineiro, also der Meisterschaft von Minas Gerais, anschauen. Auf dem Programm stand der brasilianische Meister Cruzeiro gegen Tupi aus Juiz de Fora im WM-Stadion Mineirão.   


Zufällig war mein Freund Peer auch gerade in BH und so machten wir uns gemeinsam auf die Suche nach interessanten Geschichten. Peer wollte die Fantribüne erklimmen und etwas über die Veränderungen der Fanszene erfahren. Das ist uns auch gelungen. Erst Mal konnten wir schon bekannte Phänomene beobachten: Fünf Minuten vor Anpfiff war das Stadion noch so gut wie leer. Später waren dann doch 12.000 Fans da. Aber der Schnitt der Minasmeisterschaft liegt auch nur bei etwa 3.000. Außerdem wird es immer schwerer Torcidas Organizadas zu erkennen: Fahnen, Transparente und Trommeln wurden zur Mangelware. Immerhin hält man in BH am traditionellen Stadionessen, dem Feijão Tropeiro, eine Bohnen-Maniok-Mischung fest.  


Ich konnte mich noch dunkel daran erinnern, dass es Nachrichten gab, dass Cruzeiro allen Torcidas den Zutritt verwehrt hätte. Als wir auf den Oberrang kamen, fanden wir jedoch eine Gruppe mit Namen „Geral Celeste“, die eifrig trommelten und sangen. Sie zeigten das Verhalten, das seit etwa 2007 in Brasilien in Mode ist: argentinische Lieder und wenig Schimpfwörter. Irgendwann sah ich dann sogar einen Fan, der Flyer verteilte, auf dem die Fans dazu aufgefordert wurden nicht auf den Sitzen zu stehen. Peer nannte das dann später streberhaft.


In der Halbzeitpause interviewten wir Leonardo, den Präsidenten der Geral Celeste. Er erklärte uns, dass seine Gruppe eine „gute“ Torcida sei, die Gewalt und Schimpfwörter ablehnt. Sie haben keine eigenen Mitglieder, sondern alle Fans der Geral Celeste sind Mitglieder beim Verein Cruzeiro. Damit soll alles für den Verein getan werden. Der Mitgliedsbeitrag beträgt R$120, also etwa €40, alle Heimspiele von Cruzeiro sind da inklusive. Bedenkt man, dass selbst das Spiel gegen Tupi R$80 gekostet hat, so ist das günstig. Gar nicht günstig ist es natürlich für den Fabrikarbeiter, der R$700 im Monat bekommt.


Leonardo erklärte uns auch, dass die traditionellen Torcidas im Moment nicht ins Stadion dürfen, da es letztes Jahr Zwischenfälle gab. Die Geral Celeste ist von diesem Stadionverbot aber verschont geblieben. Dem Verein und seiner Marketingabteilung muss so eine Torcida ja Recht sein.
Insgesamt verkörpert die Geral Celeste sehr gut die neuen Zeiten im brasilianischen Fußball: die neuen Fans haben Geld, um sich die teuren Monatsbeiträge zu leisten, sie distanzieren sich von rauem Fangehabe und finden die neuen Arenen toll. Eines muss man ihnen lassen: gute Stimmung haben sie gemacht. Überhaupt haben diese neuen Fangruppen ein gutes Gespür für neue Ohrwürmer. (www.geralceleste.com.br)


Themenwechsel: nach dem Spiel trafen wir den Spieler Tinga von Cruzeiro, der schon beim BVB aktiv war. Er kam ins Gespräch, da er bei einem Libertadores-Spiel in Peru rassistisch beleidigt wurde. Danach gab er ein Interview, in dem er sagte: „Ich würde alle meine Trophäen zurückgeben, wenn ich sowas nicht mehr mitmachen müsste.“ Letzte Woche gab es auch zwei Zwischenfälle in Brasilien: in São Paulo und Rio Grande do Sul. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich auch in Brasilien noch viel höher.  
Tinga war sehr nett und sagte uns im Interview, dass es leider überall auf der Welt Rassismus gäbe. Ihm würde es als Fußballspieler leichter fallen darüber hinwegzusehen. Interessant fand ich die Parallelen, die er zu Deutschland zog. Tinga analysierte, dass es den Brasilianern an Bildung fehlen würde. Seine Kinder sind in Deutschland zur Schule gegangen und haben immer berichtet, dass es dort Aufklärung gegen Rassismus gab. Das würde in Brasilien komplett fehlen und müsste dringend nachgeholt werden. In Deutschland hätten weder er noch seine Familie Rassismus erlitten.



Diese Beobachtung ist interessant, denn meistens meint man, dass Deutschland rassistisch wäre und Brasilien antirassistisch. Was uns Tinga erzählt dreht dieses Weltbild auf den Kopf. Sicherlich gibt es in Deutschland weiterhin Idioten, die rassistische Parolen brüllen. Aber es ist auch meine Erfahrung, dass man in Deutschland mit antirassistischer Aufklärung nur so überschüttet wird. Die Brasilianer verharren jedoch in ihrer sorglosen und unreflektierten Überzeugung, dass sie keine Rassisten wären. Das geht sogar soweit, dass sich der ein oder andere zum Moralapostel anderen Ländern gegenüber aufschwingt. Da brauchen wir noch viele Tingas.

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