Samstag, 24. Mai 2014

Kleines Wörterbuch zum deutschen und brasilianischen Fußball


Der Fußball selbst scheint in diesem Jahr durch die vielen Nebenerscheinungen seiner globalen Kommerzialisierung in den Schatten gestellt zu werden: Gepfefferte Eintrittspreise, Ticketvergabe per Losverfahren, Show-Events mit tief-dekolletierten Damen zur Auslosung der Vorrundenspiele... Angesichts dessen konzentriert sich das vorliegende Buch auf das Wesentliche – auf die 111 wichtigsten Stichworte zum Fußball in beiden Ländern. Anhand von Fachausdrücken, großen Spielern, berühmten Vereinen und historischen Ereignissen soll ein informatives und auch heiter-ironisches Bild zu Gegenwart und jüngerer Geschichte des Fußballs in Deutschland und Brasilien gezeichnet werden.


Balljunge, der [Gandula, o/a]. Schon seit Jahrzehnten ist der Balljunge ein fester Bestandteil der brasilianischen Fußballszene. Die Balljungen – und in letzter Zeit auch Ballmädchen –, die am Spielfeldrand an der Seiten- oder Außenlinie stehen, um den ins Aus geschossenen Ball wieder zurück ins Spiel zu bringen, sind Teil einer langen Tradition, die auf einen Spieler des Clubs >Vasco da Gama zurück geht. Der Club mit dem Malteserkreuz nahm im Jahr 1939 einen argentinischen Spieler namens Bernardo Gandulla unter Vertrag. Da dieser Schwierigkeiten hatte, sich der Spielweise des Clubs anzupassen, konnte er sich nicht sinnvoll in die Mannschaft einbringen. Um zu zeigen, dass er dennoch nützlich für den Club sein konnte, entschied sich Gandulla schließlich, immer hinter dem Ball herzulaufen, wenn dieser ins Aus geschossen worden war, um ihn dann schnellstmöglich wieder ins Spiel zu befördern. Er beschränkte sich dabei nicht nur auf das eigene Team, sondern übergab den Ball – aus einer natürlichen Haltung des Fair Play heraus – auch immer so schnell wie möglich der jeweils gegnerischen Mannschaft. Nach einiger Zeit kehrte Gandulla nach Buenos Aires zurück, wo er von Boca Juniors engagiert wurde, aber sein besonderer Einsatz in Brasilien war nicht umsonst gewesen. Denn seither tragen alle diejenigen seinen Namen, die an den Außen- und Seitenlinien des Fußballrasens dafür sorgen, dass der Ball schnellstmöglich wieder ins Spiel gebracht wird. Es hat schon so manchen kuriosen Vorfall gegeben, an dem Balljungen beteiligt waren: So kam es beispielsweise zur Stürmung des Fußballfeldes, um ein Tor zu verhindern oder zur bewussten Verzögerung der Ballrückgabe, um der gegnerischen Mannschaft zu schaden. Einige besonders attraktive Ballmädchen sind sogar Fotomodelle geworden. (COR)

 
 
Batalha dos Aflitos, o  (BA) [Schlacht von Aflitos, die]. Aflitos ist ein Stadtteil im nordöstlichen Recife, in dem der Verein Náutico sein Stadion hat. Dort fand am 26. November 2005 ein Spiel des letzten Spieltages der zweiten Liga statt. Dabei benötigte der Gast >Grêmio aus Porto Alegre ein Unentschieden, während die Heimmannschaft siegen musste, um aufzusteigen. Das Spiel nahm dramatische Züge an, als der Schiedsrichter in der 80. Minute beim Stand von 0:0 zum zweiten Mal auf Elfmeter für Náutico entschied. Es kam zu diversen Tätlichkeiten; insgesamt vier Spieler wurden vom Platz gestellt und das Spiel wurde für 35 Minuten unterbrochen. Nach Wiederanpfiff verschoss Náutico nicht nur einen Elfmeter, sondern den Gästen gelang der völlig überraschende Siegtreffer. BA ist Stoff eines humoristischen Dokumentarfilms und verschiedener Bücher. (MAC)


Tragödie von Sarrià, die [Tragédia de Sarrià, a]. Bei der WM 1982 in Spanien nahm Brasilien mit einer hochgelobten Mannschaft um Spieler wie >Sócrates, Júnior, Zico und Falcão teil. Die Fans daheim waren sich sicher, dass ihre Mannschaft den Titel holen würde, aber in der Zwischenrunde verlor Brasilien unglücklich mit 2:3 gegen Italien. Dieses Spiel ging nach dem Namen des (inzwischen abgerissenen) Stadions in Barcelona, in dem das Spiel am 5. Juli 1982 stattfand, als Tragödie von Sarriá in die Geschichte ein. Es ist nach der WM-Niederlage von 1950 (>Maracaná) die zweite große Fußballtragödie Brasiliens. Das Land befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem politischen Aufbruch, da sich das Ende der >Militärdiktatur abzeichnete. Der frische Stil der >Seleção verkörperte diese Öffnung und einige Spieler wie >Sócrates und Casagrande waren sogar in der Redemokratisierungsbewegung engagiert. Vor diesem Hintergrund erklärt sich ein Großteil der kollektiven Trauer über die Niederlage. (MAC)


Scolari, Luis Felipe „Felipão“ (*1948). Geboren in Passo Fundo, im Bundesstaat Rio Grande do Sul, spielte er als Verteidiger bei diversen Vereinen im Süden sowie bei CSA im Nordost-Bundesstaat Alagoas. Allerdings wurde „Felipão“ erst als Trainer weltbekannt. 1982 begann er bei CSA, später trainierte er Vereine in Südbrasilien sowie Kuwait und Saudi-Arabien. In den 1990er Jahren erlangte er schließlich Ruhm: Mit Criciuma gewann er 1991 die Copa do Brasil, mit >Grêmio 1995 die >Copa Libertadores und 1996 die brasilianische Meisterschaft, mit >Palmeiras 1999 die >Copa Libertadores. Auf Grund dieser Titel und seines Rufes, Mannschaften erfolgreich zu disziplinieren, wurde er im Juni 2001 Trainer der brasilianischen Nationalmannschaft. Schon im folgenden Jahr kam der Triumph – der Gewinn des fünften Weltmeistertitels. Anschließend betreute er die portugiesische Nationalelf, mit der er 2004 Vize-Europameister wurde und bei der WM 2006 den achtbaren 4. Platz erreichte. Im Januar 2013 kehrte er zur >Seleção zurück und gewann auf Anhieb den Confederations-Cup. Obwohl er den von ihm zuletzt trainierten Club >Palmeiras auf Abstiegsrängen abgab, gilt „Felipão“ für das WM-Jahr als „Heilsbringer der Nation“. (COR)

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